Dienstag, 20. Oktober 2020

Betriebliche Altersversorgung - Auslegung einer Versorgungsordnung.

Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Versorgungsregelung, wonach befristet Beschäftigte nicht und Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen, nur dann versorgungsberechtigt sind, wenn sie bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist dahin zu verstehen, dass sie auf das Lebensalter bei Beginn der Beschäftigung abstellt, wenn eine unbefristete Beschäftigung unmittelbar einer befristeten folgt. Werden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in einer Versorgungsordnung davon abhängig gemacht, dass eine schriftliche Vereinbarung über die Versorgungszusage zu treffen ist, ist dies keine echte Anspruchsvoraussetzung.


Der Kläger wurde von der Beklagten zunächst befristet und im unmittelbaren Anschluss unbefristet beschäftigt. Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses hatte er das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet. Bei der Beklagten gilt eine Versorgungsordnung in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Danach ist versorgungsberechtigt, wer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht. Weitere Voraussetzung ist, dass bei Beginn des Arbeitsverhältnisses noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet ist. Außerdem ist eine schriftliche Vereinbarung über die Versorgungszusage gefordert. Nicht teilnahmeberechtigt sind befristet Beschäftigte. Der Kläger meint, es komme nicht auf das Alter bei Beginn der unbefristeten Beschäftigung an, sondern auf das bei Beginn des Arbeitsverhältnisses. Daher sei auf sein Alter bei Aufnahme des - zunächst - befristeten Arbeitsverhältnisses abzustellen. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Die Versorgungsordnung der Beklagten war dahin auszulegen, dass das Höchstalter bei Beginn der Betriebszugehörigkeit maßgeblich ist. Das gilt unabhängig davon, ob zunächst ein befristetes Arbeitsverhältnis vorlag, sofern sich eine unbefristete Beschäftigung unmittelbar an das befristete Arbeitsverhältnis anschließt. Die Voraussetzung einer „schriftlichen Vereinbarung über die Versorgungszusage“ ist nicht konstitutiv für den Versorgungsanspruch des Klägers. Dies hat nur bestätigende, dh. deklaratorische Wirkung. Die „Zusage einer Versorgungszusage“ ist bereits als Versorgungszusage iSv. § 1 Abs. 1 BetrAVG anzusehen, wenn und soweit das Erstarken einer Anwartschaft zum Vollrecht nur noch vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und vom Eintritt des Versorgungsfalles abhängt, dem Arbeitgeber also kein Entscheidungsspielraum mehr über den Inhalt und den Umfang der zu erteilenden Zusage bleibt.

Mit der Frage einer möglichen Diskriminierung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern durch die fragliche Versorgungsordnung musste sich der Senat nicht auseinandersetzen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. September 2020 - 3 AZR 433/19 -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 5. September 2019 - 4 Sa 5/19 B -

Hinweis: Der Senat hat in einem weiteren im wesentlich gleich gelagerten Fall die Revision der Beklagten aus den gleichen Gründen ebenfalls zurückgewiesen.

Montag, 12. Oktober 2020

Verjährung von Urlaubsansprüchen?

Zur Klärung der Frage, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach §§ 194 ff. BGB der Verjährung unterliegt, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.*


Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Sie hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, dass der "Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren" am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in seiner Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub. Mit der am 6. Februar 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt. Im Verlauf des Prozesses hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Er hat geltend gemacht, für die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Klägerin verlange, sei die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen.

Das Landesarbeitsgericht ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat der Klage - soweit diese Gegenstand der Revison des Beklagten ist - stattgegeben. Es hat den Beklagten zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016 verurteilt. Für den Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts ist es entscheidungserheblich, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung bereits verjährt waren. Die Urlaubsansprüche konnten nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann (vgl. dazu Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 9 vom 19. Februar 2019). Diese Obliegenheiten hat der Beklagte nicht erfüllt.

Vor diesem Hintergrund hat der Senat den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 29. September 2020 - 9 AZR 266/20 (A)-

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 21. Februar 2020 - 10 Sa 180/19 -

*Der genaue Wortlaut der Frage kann auf der Seite www.bundesarbeitsgericht.de unter dem Menüpunkt "Sitzungsergebnisse" eingesehen werden.