Eine neue Entscheidung des EuGH hat die Rechte Schwerbehinderter gestärkt. Um die Unwirksamkeit einer Kündigung zu vermeiden sollten Sie die Richtlinien, die das Gericht aufgezeichnet hat befolgen.
Schwerbehinderte und
ihnen gleichgestellte Arbeitnehmende haben grundsätzlich einen besonderen
Kündigungsschutz. Daher muss der Arbeitgeber bei einer Kündigung frühzeitig den
Betriebsrat, die Schwerbehindertenvertretung und zumeist das Integrationsamt
beteiligen. Innerhalb einer sechsmonatigen Probezeit braucht es nach
deutschem Recht keine soziale Rechtfertigung und keine Zustimmung des
Integrationsamts für eine Kündigung. Eine neuere EuGH-Entscheidung zeigt, dass eine Kündigung
auch in der Probezeit nicht ohne weiteres möglich ist. Darin haben die Luxemburger Richter klargestellt, dass
Arbeitgeber Mitarbeitende, die ihre Tätigkeit aufgrund ihrer Behinderung nicht
mehr ausüben können, unter Umständen anderweitig beschäftigen müssen.
Voraussetzung
für den besonderen Kündigungsschutz ist zunächst, dass bei Beschäftigten,
denen gekündigt werden soll, objektiv eine Schwerbehinderung vorliegt. Dies ist
der Fall, wenn die zuständige Behörde einen Grad der Behinderung von
mindestens 50 festgestellt hat, die Schwerbehinderung offensichtlich ist oder
ein Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit vorliegt. Der Grad der
Behinderung ist ein Maß für die Auswirkungen der Beeinträchtigung an der
Teilhabe am Leben der Gesellschaft. Die Vorschriften des Kündigungsschutzes
finden keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die
Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist.
Eine Beteiligung der
Schwerbehindertenvertretung ist bei der Kündigung von schwerbehinderten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwingend erforderlich. Arbeitgeber müssen
dies bei jeder Kündigung beachten: Nach § 178 Abs. 2 SGB IX gilt,
dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne
eine solche Beteiligung ausspricht, unwirksam ist.
Gemäß § 102
Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) muss bei der Kündigung Schwerbehinderter auch der Betriebsrat beteiligt
werden. Dieser muss zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers
oder einer Arbeitnehmerin Stellung nehmen. Wann und wie die Anhörung der
Schwerbehindertenvertretung erfolgen muss, richtet sich nach Auffassung des BAG
auch nach den Regeln für die Anhörung des Betriebsrats.
Die Zustimmung des
Integrationsamtes zur Kündigung eines Schwerbehinderten ist grundsätzlich in
den allermeisten Fällen erforderlich. Dies bedeutet, dass ein schriftlicher
Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 170 Abs.1
SGB IX zu stellen ist.
Die Zustimmung muss bei
Ausspruch der Kündigung vorliegen, ansonsten führt dies zur Unwirksamkeit der
Kündigung (§ 134 BGB). Das Integrationsamt prüft im Rahmen des
Antragsverfahrens lediglich, ob und inwieweit die Kündigung durch die
besonderen Leiden des schwerbehinderten Menschen bedingt ist. Eine Prüfung der
übrigen Kündigungsvoraussetzungen erfolgt grundsätzlich nicht.
Das Integrationsamt entscheidet über die Zustimmung zur Kündigung grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei sind die Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmenden gegeneinander abzuwägen. Je weniger der Kündigungsgrund mit der Behinderung im Zusammenhang steht, umso mehr verlieren die Interessen des Mitarbeitenden an Bedeutung.
Die Luxemburger Richter stellten klar, dass dies unabhängig von einer endgültigen Einstellung im Unternehmen ist. Der Umstand, dass sich der entlassene Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seiner Kündigung noch in der Probezeit befand und noch nicht endgültig eingestellt war, führe nicht dazu, dass "seine berufliche Situation vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 ausgenommen sei".
EuGH, Urteil vom 10. Februar 2022 in der Rechtssache C‑485/20
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