Dienstag, 19. April 2022

Das sind die Hürden bei der Kündigung Schwerbehinderter.

Eine neue Entscheidung des EuGH hat die Rechte Schwerbehinderter gestärkt. Um die Unwirksamkeit einer Kündigung zu vermeiden sollten Sie die Richtlinien, die das Gericht aufgezeichnet hat befolgen.

Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmende haben grundsätzlich einen besonderen Kündigungsschutz. Daher muss der Arbeitgeber bei einer Kündigung frühzeitig den Betriebsrat, die Schwerbehindertenvertretung und zumeist das Integrationsamt beteiligen. Innerhalb einer sechsmonatigen Probezeit braucht es nach deutschem Recht keine soziale Rechtfertigung und keine Zustimmung des Integrationsamts für eine Kündigung. Eine neuere EuGH-Entscheidung zeigt, dass eine Kündigung auch in der Probezeit nicht ohne weiteres möglich ist. Darin haben die Luxemburger Richter klargestellt, dass Arbeitgeber Mitarbeitende, die ihre Tätigkeit aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr ausüben können, unter Umständen anderweitig beschäftigen müssen.

Voraussetzung für den besonderen Kündigungsschutz ist zunächst, dass bei  Beschäftigten, denen gekündigt werden soll, objektiv eine Schwerbehinderung vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die zuständige Behörde einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festgestellt hat, die Schwerbehinderung offensichtlich ist oder ein Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit vorliegt. Der Grad der Behinderung ist ein Maß für die Auswirkungen der Beeinträchtigung an der Teilhabe am Leben der Gesellschaft. Die Vorschriften des Kündigungsschutzes finden keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist. 

Eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist bei der Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwingend erforderlich. Arbeitgeber müssen dies bei jeder Kündigung beachten: Nach § 178 Abs. 2 SGB IX gilt, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine solche Beteiligung ausspricht, unwirksam ist.

Gemäß § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) muss bei der Kündigung Schwerbehinderter auch der Betriebsrat beteiligt werden. Dieser muss zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin Stellung nehmen. Wann und wie die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung erfolgen muss, richtet sich nach Auffassung des BAG auch nach den Regeln für die Anhörung des Betriebsrats.

Die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eines Schwerbehinderten ist grundsätzlich in den allermeisten Fällen erforderlich. Dies bedeutet, dass ein schriftlicher Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 170 Abs.1 SGB IX zu stellen ist.

Die Zustimmung muss bei Ausspruch der Kündigung vorliegen, ansonsten führt dies zur Unwirksamkeit der Kündigung (§ 134 BGB). Das Integrationsamt prüft im Rahmen des Antragsverfahrens lediglich, ob und inwieweit die Kündigung durch die besonderen Leiden des schwerbehinderten Menschen bedingt ist. Eine Prüfung der übrigen Kündigungsvoraussetzungen erfolgt grundsätzlich nicht.

Das Integrationsamt entscheidet über die Zustimmung zur Kündigung grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei sind die Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmenden gegeneinander abzuwägen. Je weniger der Kündigungsgrund mit der Behinderung im Zusammenhang steht, umso mehr verlieren die Interessen des Mitarbeitenden an Bedeutung.

Die Luxemburger Richter stellten klar, dass dies unabhängig von einer endgültigen Einstellung im Unternehmen ist. Der Umstand, dass sich der entlassene Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seiner Kündigung noch in der Probezeit befand und noch nicht endgültig eingestellt war, führe nicht dazu, dass "seine berufliche Situation vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 ausgenommen sei".

EuGH, Urteil vom 10. Februar 2022 in der Rechtssache C‑485/20

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen