Das Teilzeit- und Befristungsgesetz verbietet es,
Mitarbeiter mehrfach ohne Sachgrund befristet zu beschäftigen. Diese Regelung
ist prinzipiell verfassungsgemäß. Das hat das Bundesverfassungsgericht nun
entschieden und damit der gängigen Praxis des Bundesarbeitsgerichts eine
deutliche Absage erteilt.
Einige Senate an verschiedenen
Landesarbeitsgerichten (LAG) wussten es schon lange: Das Verbot der
Vorbeschäftigung aus § 14 Abs. 2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
ist nicht auf drei Jahre beschränkt. Nach dieser Vorschrift dürfen Mitarbeiter
nicht erneut ohne einen Sachgrund befristet beschäftigt werden, wenn zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat (mehr zu den
Wirksamkeitserfordernissen für die sachgrundlose Befristung).
Diese Auslegung stützt nun – zumindest
grundsätzlich – eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG). Der erste Senat erteilt damit der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine Absage – mit spürbaren Auswirkungen für die
Praxis der Unternehmen.
Sachgrundlose
Befristung: BAG-Rechtsprechung zum Vorbeschäftigungsverbot
Seit 2011 liest das BAG nämlich in den
Gesetzeswortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG eine Art Sperrfrist von drei
Jahren hinein (BAG-Urteil vom 6.4.2011, Az. 7 AZR 716/097). Eine
Vorbeschäftigung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber steht also nach
Auffassung der Erfurter Richter einer sachgrundlosen Befristung nicht entgegen,
wenn das vorherige Arbeitsverhältnis länger als drei Jahre zurückliegt.
In den Jahren vor 2011 sah das BAG in der Norm
noch ein absolutes Vorbeschäftigungsverbot. In einem weiteren
Urteil zur sachgrundlosen Befristung konkretisierte das Gericht,
dass eine sachgrundlose
Befristung trotz einer Vorbeschäftigung in Heimarbeit möglich ist.
BVerfG:
Frist von drei Jahren widerspricht Grundgesetz
Für das BVerfG ist die aktuelle Auslegung des BAG
jedoch nicht mehr vom Willen des Gesetzgebers gedeckt. Die richterliche
Rechtsfortbildung dürfe diesen klar erkennbaren Willen nicht übergehen und
durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen. Im Fall des Verbots der
Vorbeschäftigung habe sich der Gesetzgeber klar erkennbar gegen eine Frist – in
diesem Fall von drei Jahren – entschieden, kritisierte nun der erste Senat die
obersten Arbeitsrichter aus Erfurt.
Arbeitnehmer
wollen unbefristet beschäftigt werden
Der aktuellen Entscheidung des BVerfG liegen
Klagen – eine Verfassungsbeschwerde eines Arbeitnehmers sowie ein
Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig – auf die Entfristung eines
Arbeitsvertrags zugrunde. Die Beschäftigten machten gegenüber ihrem jeweiligen
Arbeitgeber geltend, die zuletzt vereinbarte sachgrundlose Befristung ihres
Arbeitsverhältnisses sei unwirksam. Sie verstoße gegen § 14 Abs. 2 Satz 2
TzBfG, weil sie bereits zuvor bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren.
Sachgrundlose
Befristung: Ist Vorbeschäftigungsverbot verfassungsgemäß?
Konkret hatte das Arbeitsgericht in dem
Vorlageverfahren die Frage gestellt, ob die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2
TzBfG mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3
Abs. 1 GG vereinbar ist. Schließlich könne damit eine sachgrundlose Befristung
auf die erstmalige Beschäftigung beim jeweiligen Vertragsarbeitgeber beschränkt
sein.
Im anderen Verfahren wehrte sich ein Arbeitnehmer
dagegen, erneut befristet beschäftigt zu werden. Nachdem die jeweils
zuständigen Arbeitsgerichte jedoch der bislang aktuellen Rechtsprechung des BAG
folgten, waren seine Klagen zunächst erfolglos. Mit der Verfassungsbeschwerde
wandte er sich gegen die ablehnenden Urteile, da die Auslegung des § 14
Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch das BAG seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletze. Sie überschreite die Grenzen
der richterlichen Rechtsfortbildung.
BVerfG:
Arbeitsgerichte dürfen Konzept des Gesetzgebers nicht einfach übergehen
Diese Ansicht teilte das BVerfG. Die Fachgerichte
müssten bei der Auslegung der Gesetze die gesetzgeberische Grundentscheidung
respektieren, entschieden die Verfassungsrichter. Dazu müssten auch die
Gesetzesmaterialien in Betracht gezogen werden. Im konkreten Fall zeigten die
Begründung des – unverändert verabschiedeten – Gesetzentwurfs, die darauf
bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung und die
Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse deutlich:
Eine sachgrundlose Befristung zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien soll
grundsätzlich nur einmal und nur bei der erstmaligen Einstellung zulässig sein.
Für die Verfassungsrichter war das gesetzliche
Regelungskonzept damit klar erkennbar. Dieses dürfe jedoch von den
Fachgerichten – in diesem Falle also von den Arbeitsgerichten beziehungsweise
vom BAG – nicht übergangen und durch ein eigenes Konzept ersetzt werden.
Gesetzeszweck:
Schutz vor Kettenbefristungen, unbefristetes Arbeitsverhältnis als Regel
Prinzipiell sei die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz
2 TzBfG nach Meinung der Karlsruher Richter jedoch mit der Verfassung
vereinbar. Weder die Berufsfreiheit der Beschäftigten noch die berufliche und
wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Arbeitgeber werde durch die Norm
verletzt, stellte das BVerfG fest. So werde dem Interesse der Arbeitgeber an
Flexibilisierung etwa auch dadurch Rechnung getragen, dass ihnen Alternativen
zur sachgrundlosen Befristung zur Verfügung stehen. Als Beispiel nennen die
Karlsruher Richter auch die in bestimmten Fällen erlaubte befristete
Beschäftigung mit Sachgrund.
Der Gesetzgeber wolle mit dem Verbot der
Vorbeschäftigung "die strukturell dem Arbeitgeber unterlegenen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Kettenbefristungen schützen und zugleich
das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform sichern",
argumentierte das BVerfG. Daneben steht die beschäftigungspolitische
Zielsetzung, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Hier hat der Gesetzgeber einen
großen Spielraum. Wenn er entscheidet, die sachgrundlose Befristung zwar als
Brücke in eine Dauerbeschäftigung zuzulassen, dies aber grundsätzlich
beschränkt, sei das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Ausnahmen
vom Verbot der Vorbeschäftigung auch weiterhin möglich
Daraus abgeleitet ließen die Karlsruher Richter
auch Möglichkeiten offen, von einem generellen Verbot der Vorbeschäftigung
abzuweichen – wenn auch anders, als dies das BAG bisher vorsieht. So können und
müssen die Arbeitsgerichte eine sachgrundlose Befristung trotz Vorbeschäftigung
ausnahmsweise zulassen, wenn gerade keine Gefahr einer Kettenbefristung – in
Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten – bestehe oder
das unbefristete Arbeitsverhältnisse als Regelbeschäftigungsform erhalten bleibe.
Dann wäre es im Einzelfall den Beteiligten nicht zumutbar, eine sachgrundlose
Befristung – wegen des Verbots der Vorbeschäftigung – abzulehnen.
Das BVerfG lieferte mit der aktuellen Entscheidung
den Arbeitsgerichten auch Ausnahmen vom Verbot der Vorbeschäftigung an die
Hand, wenn etwa eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, ganz anders
geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Konkret könnten das
- bestimmte geringfügige Nebenbeschäftigungen
während der Schul- und Studienzeit oder der Familienzeit,
- die Tätigkeit von Werkstudierenden oder
- die lang zurückliegende Beschäftigung von
Menschen, die sich später beruflich völlig neu orientieren, sein.
BVerfG
erneut mit Kritik am BAG
Im Ergebnis darf damit der per
Verfassungsbeschwerde klagende Arbeitnehmer auf ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis hoffen. Das abweisende Urteil hat das BVerfG aufgehoben und
den Fall zur erneuten Verhandlung an das LAG zurückverwiesen.
Nicht zum ersten Mal korrigiert damit das BVerfG
eine Auslegung des BAG. Zuletzt hatten die Karlsruher Verfassungsrichter ein
BAG-Urteil aufgehoben, weil es die verfassungsmäßige Sonderstellung der Kirchen
nicht ausreichend betonte. Allerdings könnte der EuGH in dem Fall eines
wiederverheirateten und deshalb gekündigten Chefarztes die Ansichten des BAG
stützen. Zumindest
lässt die Stellungnahme des Generalanwalts am EuGH eine solche Vermutung zu.
Praktische
Auswirkung für weitere sachgrundlose Befristungen
Für Arbeitgeber dürfte die aktuelle Entscheidung
des BVerfG erhebliche Auswirkungen haben über den Einzelfall hinaus haben.
Schließlich sind die vom BVerfG genannten Ausnahmen im Vergleich zur bisherigen
Auslegung des BAG (noch) wenig konkret. Wie lange eine mögliche
Vorbeschäftigung zurückliegen kann (auf jeden Fall länger als drei Jahre) oder
welche Art der Vorbeschäftigung konkret als Ausnahme gelten kann, ist nun
schwieriger einzuschätzen. Die klare zeitliche Grenze von drei Jahren dürfte
hier ein einfacherer Maßstab gewesen sein.
Schon zuvor
vermehrte Kritik an BAG-Auslegung zur Vorbeschäftigung
Allerdings hatte die vom BAG vorgenommene
Konkretisierung des Verbots der Vorbeschäftigung auf drei Jahren schon vor der
aktuellen Entscheidung des BVerfG immer wieder Kritik erfahren. So waren einige
Gerichte dieser Auslegung nicht gefolgt, zuletzt etwa die 6. Kammer des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (Urteil vom 20.07.2017, Az: 6 Sa 1125/16).
Einer Klage auf Weiterbeschäftigung stattgegeben hatte.
Die Vorbeschäftigung der Arbeitnehmerin lag in diesem Fall länger als drei
Jahre zurück.
Damit knüpfte der 6. Senat des LAG
Niedersachsen an eine Reihe unlängst zu diesem Thema ergangener Entscheidungen
an. Auch die 9. Kammer des LAG Niedersachsen (Urteil vom 23.05.2017, Az. 9 Sa
1154/16) sah keine zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbots,
ebenso argumentierte die 3. Kammer des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom
13.10.2016, Az. 3 Sa 34/16), dass der Wortlaut des § 14 Abs. 2 TzBfG
("bereits zuvor") eindeutig sei. Weitere Kammern des LAG
Baden-Württemberg hatten zuvor ebenso entschieden. (LAG Baden-Württemberg,
Urteile vom 26.9.2013, Az: 6 Sa 28/13 und vom 21.2.2014, Az: 7 Sa 64/13).
Hinweis: BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2018, Az. 1
BvL 7/14 (Vorlagebeschluss) und Az. 1 BvR 1375/14 (Verfassungsbeschwerde);
Zuvor: Vorlage des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 3. April 2014, Az. 5
Ca 463/13 und LAG Nürnberg, Urteil vom 30. Januar 2014, Az. 5 Sa 1/13.
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