Freitag, 7. August 2015

Wenn der Arbeitgeber kündigt – ein internationaler Vergleich.


Abfindungen, Kündigungsfrist, Arbeitslosenversicherung, Klagerecht auf Weiterbeschäftigung, Kurzarbeitergeld – das Kündigungsschutzrecht im internationalen Vergleich hält für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlreiche Fallstricke bereit.

Ein Länderüberblick."In Deutschland scheinen wir derzeit in der besten aller realen Arbeitswelten zu leben, in der sowohl die Arbeitnehmer hinreichend geschützt und im Kündigungsfall finanziell abgesichert sind als auch die Unternehmen in Krisenzeiten flexibel genug bleiben." Diesen Schluss zieht Professor Dr. Peter Lüdemann, Vorstandsmitglied von Ecovis, aus dem jüngsten Rechtsbarometer rund um das sensible Thema Kündigung seitens des Arbeitgebers. "Allerdings trägt auch der drohende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften infolge der demografischen Entwicklung zur vergleichsweise entspannten Situation in unserem Land bei", merkt Lüdemann an.
An der Umfrage nahmen Ecovis-Kanzleien in 22 Staaten teil. In den meisten hakt es im Arbeitsmarkt an einer oder mehreren Stellen – zum Nachteil der Unternehmen wie der Arbeitnehmer, wie die Untersuchung zeigt: Einerseits erklären nur 27 Prozent der teilnehmenden Ecovis-Partner, dass es in ihrem Land relativ leicht sei, Mitarbeiter zu entlassen. Andererseits finden entlassene Arbeitnehmer nach Einschätzung der Partner vor Ort in jedem zweiten Land nur schwer einen neuen Job – vor allem im südlichen und östlichen Europa, aber auch in Japan. Jeder zweite Umfrageteilnehmer bemängelt, dass Arbeitslose keine ausreichende öffentliche Unterstützung erhalten, sei es finanziell oder was Qualifizierungsmaßnahmen und die Hilfe bei der Jobsuche angeht. Zwar ist in allen untersuchten Staaten die Kündigung von Mitarbeitern gesetzlich geregelt, und in den meisten (77 Prozent) gibt es auch eine obligatorische Arbeitslosenversicherung für alle oder die meisten Arbeitnehmer. "Die entscheidenden Unterschiede liegen jedoch in den Detailvorschriften, in der Rechtspraxis und im Leistungsumfang der Arbeitslosenversicherung", erklärt Peter Lüdemann.

Klage auf WeiterbeschäftigungEin markantes Beispiel: In nahezu allen untersuchten Staaten (86 Prozent) haben gekündigte Arbeitnehmer das Recht, auf Weiterbeschäftigung zu klagen. Ob dies wirklich ein ernsthaftes Hindernis für den Arbeitgeber ist und wie teuer ihn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses letztlich zu stehen kommt, ist überwiegend eine Frage der Rechtsprechung und der landesüblichen Gepflogenheiten.
In nur sechs Ländern sind Klagen auf Weiterbeschäftigung die Regel: Rumänien, Russland, Serbien, Slowenien, Spanien und Tschechien. Sprich: Andernorts einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer häufig gleich außergerichtlich auf eine angemessene Abfindung; im Gegenzug verzichtet der Mitarbeiter darauf, der Kündigung zu widersprechen. Lediglich in vier Staaten – Österreich, Malaysia, Serbien und Vietnam – muss ein Arbeitnehmer unbedingt weiterbeschäftigt werden, wenn es in dem Streit zu einem Gerichtsurteil kommt und er gewinnt. In Griechenland, Lettland und Polen haben die Arbeitgeber klar die besseren Karten: Dort weisen die Gerichte Klagen von Arbeitnehmern gegen ihre Kündigung meist ab.
Abfindungslösung bevorzugt
Am häufigsten enden die Klageverfahren mit einer alternativen Lösung: Es kommt zwar zu einem Gerichtsurteil auf Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, doch er kehrt nicht an seinen Arbeitsplatz zurück, sondern einigt sich mit dem Arbeitgeber auf eine Abfindung. Dies ist in sechs der 22 Länder gängige Praxis. "In China klagen Arbeitnehmer gegen eine Kündigung in der Hoffnung, eine Abfindung zugesprochen zu bekommen, wenn sie sich nicht mit dem Arbeitgeber einigen konnten", merkt Yi Wang, Ecovis-Partner in Shanghai, an. "Denn es ist nicht sehr schwer, einen neuen Job zu finden, wenn man ausreichend dafür qualifiziert ist."
Das Gericht macht einen entsprechenden Vergleichsvorschlag inklusive der Höhe der Abfindung, den beide Parteien akzeptieren. Dies ist in sieben Ländern häufig der Fall.
Nach der Klage einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer freiwillig auf eine Abfindung, der gekündigte Mitarbeiter zieht die Klage zurück. Darauf läuft es in jedem zweiten Land oft hinaus.
In Lettland und Vietnam sind alle drei Lösungen üblich, in Österreich werden die ersten beiden bevorzugt angewandt, in drei Ländern – Deutschland, Indien und Spanien – die beiden letzteren. In Tschechien endet das Verfahren entweder erst nach dem Gerichtsurteil mit einem Abfindungsvergleich oder beide Seiten handeln von vorneherein einen Kompromiss aus, um einen Prozess mit ungewissem Ausgang zu vermeiden.
In Rumänien "entscheiden die Gerichte oft auf Weiterbeschäftigung und verpflichten den Arbeitgeber zu einer Abfindung", sagt Monica Jantea, Rechtsanwältin und Ecovis-Partnerin in Bukarest. "Deshalb bevorzugen die Arbeitgeber eine außergerichtliche Einigung, wenn Arbeitnehmer ihrer Kündigung widersprechen."
In Slowenien entscheiden die Gerichte oft zugunsten der gekündigten Arbeitnehmer. "Was bedeutet, dass der Arbeitgeber Lohn und Gehalt nicht nur bis zum Kündigungstermin weiterzahlen, sondern bis zum Urteil – plus Verzugszinsen", erklärt Christoph Geymayer, Geschäftsführer der Ecovis-Kanzlei in der Hauptstadt Ljubljana. "In vielen Fällen enthalten die Tarifverträge Klauseln, die eine zusätzliche Strafzahlung an den Arbeitnehmer wegen rechtswidriger Beendigung des Arbeitsvertrags festlegen. Deshalb ziehen die Unternehmen freiwillige Vereinbarungen mit den betroffenen Arbeitnehmern vor, damit es nicht zum Prozess kommt."

Wo die Hürden lauern und weitere Beispiele aus anderen Ländern
In Serbien kann der Arbeitgeber zwar das Arbeitsverhältnis praktisch sofort beenden, weil die generelle Kündigungsfrist mit fünf Arbeitstagen extrem kurz ist. "In diesem Fall schreibt das Gesetz jedoch eine Abfindung vor, die bis zu 36 Monatsgehältern betragen kann und vom Gericht festgelegt wird", sagt Alexander Samonig, Ecovis-Partner in Belgrad. Unter bestimmten Umständen kann die Kündigungsfrist abhängig vom Kündigungsgrund auch mehrere Monate betragen.
Britische Arbeitgeber können Mitarbeitern jederzeit aus jedem Grund kündigen. Dabei müssen sie aber - außer bei grobem Fehlverhalten oder Vertragsbruch seitens des Arbeitnehmers - die gesetzliche Kündigungsfrist wahren, die von einer Woche im ersten Beschäftigungsjahr bis zu maximal zwölf Wochen nach 12 oder mehr Jahren reicht. Oder sie müssen einen entsprechenden Lohn- oder Gehaltsausgleich leisten. "Eine zusätzliche Kompensationszahlung kann fällig werden, wenn die Entlassung als unfair anzusehen ist, weil kein zulässiger Grund vorliegt oder die Regeln eines fairen Procederes missachtet wurden", erklärt Darryl Evans, Arbeitsrechtsexperte bei der Londoner Ecovis-Partnerkanzlei Boodle Hatfield LLP.
Ähnlich wie in Großbritannien haben japanische Arbeitgeber die Wahl, entweder die gesetzliche Kündigungsfrist (einheitlich 30 Tage) einzuhalten oder ihn noch so lange zu bezahlen, wenn sie ihn sofort entlassen. Die rechtlichen Hürden sind jedoch erheblich höher: "Nach dem japanischen Arbeitsvertragsgesetz sind Kündigungen rechtsmissbräuchlich und damit nichtig, wenn keine vernünftigen Gründe dafür vorliegen und sie aus gesamtgesellschaftlicher Sicht unangemessen sind. Für die Arbeitgeber ist es ausgesprochen schwierig, den Behörden Gründe darzulegen, die deren Ansprüchen genügen", konstatiert Kazuhiko Chiba, Partner der Ecovis-Kanzlei in Tokio. "Daher empfiehlt es sich, als Präventivmaßnahme detaillierte disziplinarische Regeln in die betriebliche Arbeitsordnung aufzunehmen."
Marcus Bodem, Rechtsanwalt und Ecovis-Partner in Berlin, merkt dazu an: "In Deutschland und anderen europäischen Ländern ist die Rechtslage mit Japan vergleichbar, was die Rechtmäßigkeit von Kündigungen durch den Arbeitgeber angeht. Deshalb ist es auch hier ratsam, dass die Unternehmen als vorbeugende Maßnahme eine verpflichtende Disziplinarordnung aufstellen.
Deutschland hat übrigens unter den untersuchten Ländern die längsten gesetzlichen Fristen für ordentliche Kündigungen von Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber: von vier Wochen zum Monatsende in den ersten beiden Beschäftigungsjahren bis zu sieben Monaten nach 20 Jahren im Betrieb.

Entlassungen in kritischen SituationenMassenentlassungen sind in den meisten Staaten nur eingeschränkt möglich – also nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind und bestimmte Verfahrensregeln eingehalten werden. Zulässig sind Massenentlassungen vor allem, wenn ein Unternehmen oder Betrieb in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt oder zu geraten droht. In allen untersuchten Ländern außer Griechenland sind dabei Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften oder betrieblichen Arbeitnehmervertretungen zu beachten. "In Uruguay besteht zwar keine gesetzliche Verpflichtung, vor Entlassungen die Gewerkschaften zu konsultieren oder mit ihnen Vereinbarungen zu treffen.
Doch faktisch haben die Gewerkschaften in bestimmten Fällen eine starke Position und die Unternehmen müssen sich mit ihnen einigen", erklärt Marcelo Caiafa, Ecovis-Partner in der Hauptstadt Montevideo. In 15 Ländern – darunter auch Großbritannien – muss der Arbeitgeber einen Sozialplan vorschlagen bzw. mit dem Betriebsrat oder den Gewerkschaften aushandeln, der die Auswahl der zu entlassenden Mitarbeiter und die Bemessungskriterien für deren Abfindungen regelt.
Dagegen können Unternehmen, die finanziell so angeschlagen sind, dass sie Insolvenz beantragt haben, in fast allen Staaten (82 Prozent) Mitarbeiter leichter als im Normalfall kündigen.

Kurzarbeitergeld statt KündigungenNur in fünf Ländern erhalten Arbeitnehmer auch dann finanzielle Unterstützung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, wenn das Unternehmen aufgrund eines Konjunktur- oder Absatzeinbruchs oder von Naturkatastrophen finanzielle Probleme hat und deshalb Kurzarbeit beantragt, um die Personalkosten zu reduzieren. Kurzarbeit heißt, dass das Unternehmen temporär die Arbeitszeit für alle Beschäftigten stark – im Extremfall bis auf null – reduziert, um die Durststrecke ohne Entlassungen zu überbrücken. In diesen Ländern – Deutschland, Österreich, Spanien, Uruguay und der Schweiz – ersetzt die Arbeitslosenversicherung dann den betroffenen Mitarbeitern einen Teil des Verdienstausfalls.
In Deutschland wird das Kurzarbeitergeld im Regelfall höchstens sechs Monate lang gezahlt. Wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise nach der Lehman-Pleite wurde die maximale Bezugsdauer für 2010 auf 18 Monate, für Anträge im Jahr 2011 auf 12 Monate verlängert. "Das war eine große Hilfe für die Mitarbeiter und ihre Familien, aber auch für die Unternehmen, die so ihre Fachkräfte halten und dann im Wiederaufschwung sofort durchstarten konnten", sagt Marcus Bodem, Ecovis-Partner in Berlin.
In Portugal zahlt die Sozialversicherung unter bestimmten Bedingungen zeitweise einen Teil der monatlichen Vergütung. In China wird von Fall zu Fall über finanzielle Hilfen entschieden. So können die lokalen Behörden temporär die Sozialversicherungsbeiträge für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer reduzieren. In Rumänien kann der Staat Unternehmen Steueraufschub gewähren, wenn sie durch eine Rezession in Finanznöte geraten.
Flexibel genug in schwierigen Zeiten? Bleibt am Schluss die Gretchenfrage: Lassen die Rahmenbedingungen summa summarum den Unternehmen ausreichend Flexibilität, um in wirtschaftlichen Krisenzeiten die Beschäftigung anzupassen und/oder wieder schnell wettbewerbsfähig zu werden? "Die Situation könnte besser sein", sagen die Ecovis-Partner in jedem zweiten untersuchten Staat, und in jedem dritten finden sie die Verhältnisse "zu unflexibel".

Abfindungen als Hemmschuh für KündigungenDie Gründe für das überwiegend kritische Gesamturteil sind vielfältig: In jedem dritten Land halten die Ecovis-Partner die Kündigungskosten für prohibitiv hoch. "In Portugal können sich kleine und mittlere Unternehmen wegen der Abfindungen und Anwaltskosten eine Kündigung kaum leisten", sagt Johannes Rückert, Ecovis-Partner in Lissabon. "Als Hemmschuh wirken zudem die Komplexität, mangelnde Klarheit und ständigen Änderungen der Arbeitsgesetze."
Im Nachbarland Spanien "sind die hohen Abfindungen das Problem", klagt Dr. Jörg Hörauf, Partner der Ecovis-Kanzlei in Barcelona. "Sie lassen die Unternehmen gerade in der aktuellen Krise vor Neueinstellungen zurückschrecken – ein Teufelskreis." Schon wenn ein Unternehmen Mitarbeiter aus finanziellen Gründen entlässt (und das Gericht diese auch anerkennt) wird für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit der Gehaltsgegenwert für 20 Arbeitstage als Abfindung fällig. Andernfalls sind 45 Arbeitstage je Beschäftigungsjahr der Richtwert. "Oft einigt sich der Arbeitgeber daher mit dem gekündigten Arbeitnehmer in der Mitte."
"Komplizierte Arbeitsgesetze und widersprüchliche Gerichtsentscheidungen" bemängelt Piotr Prus, Rechtsanwalt und Partner der Ecovis-Kanzlei in Polens Hauptstadt Warschau. "Dazu kommen die hohen Arbeitskosten durch Steuern und Sozialabgaben, die dazu führen, dass die Unternehmen von Arbeitsverträgen verstärkt auf Werkverträge mit Einmannfirmen ausweichen."
In Australien sieht Scott Hogan-Smith von der Ecovis-Kanzlei in Sydney den gesetzlich verankerten Gewerkschaftseinfluss als Flexibilitätshindernis. Und selbst in Österreich – laut Umfrage das einzige Land neben China, in dem entlassene Arbeitnehmer leicht einen neuen Job finden – findet der Wiener Ecovis-Partner Martin Grill einen Kritikpunkt: den "zu starken Kündigungsschutz".
"Überwiegend zufrieden", was die Flexibilitätsbedingungen im Lande angeht, sind nur der Berliner Anwalt Marcus Bodem und seine Schweizer Kollegin Karolina Slama, Rechtsanwältin bei weber schaub & partner ag, einer Ecovis-Partnerkanzlei in Zürich. "Anders als in vielen anderen europäischen Ländern gibt es in der Schweiz keinen generellen Kündigungsschutz, insbesondere kein Recht auf Weiterbeschäftigung", erklärt Karolina Slama. "Auch der Gewerkschaftseinfluss ist schwächer, die Arbeitslosenquote niedriger."
Deutschland hat derzeit die höchste Beschäftigtenzahl und die niedrigste Arbeitslosigkeit seit Jahren – "nicht zuletzt dank der erweiterten Kurzarbeitergeld-Regelung in der Krise", sagt Marcus Bodem. "Die größte Herausforderung, vor der die Unternehmen stehen, ist es, angesichts einer alternden Bevölkerung genügend qualifizierte Arbeitskräfte zu finden."

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